Gipfel im Nebel?

Vor dem 2. Bewegungsgipfel herrscht Ernüchterung. Die DOSB-Presse hat mit DOSB-Vizepräsidentin Kerstin Holze und dsj-Vorstandsmitglied Julian Lagemann gesprochen.

Kerstin Holze und Julian Lagemann beim 2. Bewegungsgipfel in Berlin. Foto: BMI/Henning Schacht
Kerstin Holze und Julian Lagemann beim 2. Bewegungsgipfel in Berlin. Foto: BMI/Henning Schacht

So viel Aufbruch war nie, entsprechend groß ist die Enttäuschung. Einen Entwicklungsplan Sport hatte sich die Koalition auf ihre To-Do-Liste geschrieben, Sport sollte auch in der Bundespolitik als zusätzliche Querschnittsaufgabe durch alle Ressorts mehr Unterstützung erhalten.

Vor dem 2. Bewegungsgipfel am Dienstag (12. März) in Berlin herrschte Ernüchterung. Vertretungen der Landessportbünde bleiben dem Treffen gänzlich fern. DOSB und dsj nehmen teil, aber mit welchen Erwartungen? Die DOSB-Presse hat mit DOSB-Vizepräsidentin Kerstin Holze und dsj-Vorstandsmitglied Julian Lagemann gesprochen.

DOSB-PRESSE: Nach dem ersten Gipfel vor einem Jahr war die Rede von einem Startschuss, der die Menschen auf Trab bringen sollte. Tatsächlich sind jetzt erst einmal Fachleute, die ein Jahr lang an konkreten Ideen und Verbesserungsvorschlägen gefeilt haben, auf „180“. Was ist in den Arbeitsgruppen schiefgelaufen?

Kerstin Holze: Die interdisziplinär besetzten AG‘s haben für fünf Handlungsfelder konstruktive und zukunftsweisende Ergebnisse geliefert. Hier haben eben genau diese Fachleute, und viele kamen aus den Mitgliedsorganisationen des DOSB und der dsj und haben dies ehrenamtlich getan, abgeliefert. Da ist überhaupt nichts schiefgelaufen. Die Vertreter*innen der Sportverbände und des Vereinssports ebenso wie die beteiligten Wissenschaftler*innen sehen nun jedoch vor allem zwei Knackpunkte: Der große Paradigmenwechsel findet nicht statt. Es gibt zum einen keinerlei Zusagen oder belastbare Aussagen, Sport als Querschnittsaufgabe nicht nur bei den Ländern, sondern über die Sportministerkonferenz hinaus auch im Bund zu verankern.

Julian Lagemann: …und zum anderen lässt der Entwurf für einen Entwicklungsplan Sport viel zu viel im Unklaren: er ist nicht verbindlich, Verantwortlichkeiten sind nicht festgeschrieben und die Finanzierungsfragen sind ungeklärt. Die große Herausforderung, die ressortübergreifende Zusammenarbeit umzusetzen und Maßnahmen zu finanzieren, sollte uns aber nicht stoppen, sondern in sportlicher Manier antreiben.

DOSB-PRESSE: Ist denn nur alles schlecht im Entwurf?

Kerstin Holze: Nein, es gibt inhaltlich reichlich Substanz, auf die wir aufbauen können. Wir haben uns zum Beispiel selbst verpflichtet, eine Medienallianz aufzubauen. Es soll ein Bundesprogramm zur Trainer*innenaus- und Fortbildung geben. Das Gleiche gilt für das Freiwilligenmanagement in den Verbänden. Eine digitale Lernmanagementplattform soll ebenso kommen wie die Einführung einer bundesweiten digitalen Ehrenamtskarte. Und das sind nur beispielhaft einige wenige Maßnahmen.  Aber im Entwurf wird das alles einfach nur aufgelistet, es fehlt die Einordung in eine Gesamtstrategie und die Verantwortungszuschreibung: Wer macht was, bis wann mit welchen Mitteln?

Besonders frappierend ist dies bei der Modernisierung, der Sanierung und dem Neubau der Sportstätten. Wer übernimmt hier zur Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse die inhaltliche und finanzielle Verantwortung der Auflösung des Sanierungsstaus?

Gut sind die im Entwurf benannten Bewegungsinseln, maximal 15 Minuten vom Wohnort entfernt. Aber auch hier: Wer setzt das um?

Positiv sehe ich auch, den Bewegungsgipfel dauerhaft abzuhalten, damit es eine Abstimmungs- und Entscheidungsplattform der Leitungsebenen von Bund, Ländern, Kommunalverbänden und organisiertem Sport für die Abstimmung und Evaluation von verabredeten Maßnahmen gibt. So bekommen wir Verbindlichkeit und Transparenz in den Prozess. Das kann ein neuer Weg der Zusammenarbeit sein, um sicherzustellen, dass Sport als Querschnittsthema auf der Bundesressortebene dauerhaft verankert wird. Das Sahnehäubchen wäre, wenn es dabei noch gelänge, die Arbeit mit den verschiedenen Landesfachkonferenzen und den Ländern abzustimmen.

Julian Lagemann: Die Inhalte sind hervorragend. Es wird deutlich, dass wir uns für die Förderung frühkindlicher Bewegung einsetzen müssen. Wir müssen sicherstellen, dass Kinder Schwimmen oder Fahrradfahren können. Außerdem sind sich alle einig, dass wir mehr Bewegung in die Schulen bringen und die Kooperationen im Ganztag stärken müssen. Im Hinblick auf die ausgesprochen schwierige Situation des Schulsports empfehlen die Arbeitsgruppen dringend eine neue Schulsportstudie (SPRINT II). Darüber hinaus ist zum einen die Einbindung von externem Personal, wie Übungsleiter*innen notwendig. Zum anderen soll Bewegung in der Ausbildung von Erzieher*innen und Grundschullehr*innen verankert werden.

Zur Weiterentwicklung kommunaler Bewegungslandschaften gehört die Öffnung kommunaler Räume für Bewegungs-, Spiel- und Sportangebote, z.B. Schulhöfe und Sporthallen der Kommunen. Wir alle teilen die Verantwortung und die Chance, die Zukunft des Sports in Deutschland zum Wohl von Kindern und Jugendlichen zu gestalten, deshalb wünsche ich mir, dass alle Partner ebenfalls mit klarem Fokus für mehr Bewegung, Spiel und Sport arbeiten.

DOSB-PRESSE: Am Ende hängen Initiativen im politischen Raum oft von der Frage ab, ob sie finanzbar sind. Haben die Ereignisse von Dezember 2022 bis heute den Entwicklungsplan Sport obsolet gemacht?

Kerstin Holze: So einfach können wir uns das als Gesellschaft nicht machen, dafür sind die Themen zu ernst. Die Pandemie hat gezeigt, welche gesundheitlichen, psychosozialen und volkswirtschaftlichen Schäden fehlende Bewegung und Aktivität anrichten. Natürlich laufen die Haushaltskürzungen in Bund, teilweise auch Ländern Handlungsfeldern des Entwicklungsplans Sport zuwider. Der bereits angesprochene Sanierungsstau bei Sportstätten beläuft sich auf mittlerweile 32 Milliarden Euro. Aber gerade solche Dimensionen machen deutlich, dass das Land das große Umsteuern braucht. Die Herausforderungen sind derartig groß, dass wir mit Schönheitsreparaturen im althergebrachten System nicht mehr weiterkommen. Weniger Geld im System verstärkt den Reformdruck einfach nur noch mehr.

Julian Lagemann: Wenn man weiß, was die erzwungene Bewegungslosigkeit während der Pandemie bei Adipositas und psychosozialen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen angerichtet hat, versteht man, warum die Förderung von Sport und Bewegung als Daseinsvorsorge und Prävention auch in den Bundesressorts bei Gesundheitspolitik, Städtebau oder Förderung des ländlichen Raumes mitgedacht werden müssen. Von der rahmenden Jugendarbeit im Sport ganz zu schweigen. Auch hier sehe ich noch politischen Nachbesserungsbedarf.

DOSB-PRESSE: Was kann der zweite Gipfel jetzt noch erreichen?

Kerstin Holze: Wenn nicht Alles, dann doch sehr viel. Wenn wir das Bild der Gipfelbesteigung weiterdenken: Alle Teilnehmer*innen haben jetzt einen freien und ungehinderten Blick darauf, unter welchen Anstrengungen und mit welchem Ressourceneinsatz die AG-Mitglieder gute Ideen und Maßnahmen erarbeitet haben. Niemand kann sich jetzt noch hinter Kompetenzen, Finanzierung oder Zeitplänen verstecken. Alle sehen, welche Chancen diese Vorschläge beinhalten.

Julian Lagemann: …und wenn der Zeitplan angesichts der Größe der Aufgabe zu ambitioniert scheint, dann darf das nicht dazu führen, das Gesamtprojekt scheitern zu lassen. Möglicherweise brauchen wir für so starke Änderungen an der Gesamtarchitektur mehr als eine Wahlperiode.

Kerstin Holze: Klar ist: Ambitionslosigkeit zu Lasten der Gesellschaft können wir uns nicht leisten…

Julian Lagemann: ...so ist es, es braucht ein klares Commitment seitens der Politik für Sport für Alle.

(Quelle: DOSB)


  • Kerstin Holze und Julian Lagemann beim 2. Bewegungsgipfel in Berlin. Foto: BMI/Henning Schacht
    Kerstin Holze und Julian Lagemann sitzen beim Bewegungsgipfel an einem Tisch Foto: BMI/Henning Schacht