Die berührenden, die schönen Momente sind für Doris Simon regelmäßig diejenigen, wenn die Tischtennis-Stunde eigentlich vorbei ist – ihre Gruppen in Hannover, Berlin und Braunschweig aber einfach im allgemeinen Vereinstraining weiterspielen, weiterplaudern, jubeln, rufen, lachen und einfach aktiv sind. „Dort freuen sich viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer dann über ihre technische Weiterentwicklung“, sagt Simon. Und das in einem Alter, in dem andere dem Sport längst abgeschworen haben. „Tischtennis kann man ein Leben lang spielen“, sagt Simon, und fügt ihr Lieblingsbeispiel an: „Es gibt Weltmeisterschaften für 85-Jährige.“
Ganz so alt sind „ihre“ Sportlerinnen und Sportler nicht. Die 60 Jahre haben die meisten schon überschritten, bei den Angeboten der Vereine TTC Magni Braunschweig, SG Letter Hannover und Steglitzer TTK Berlin. Diese drei Vereine sind in den Genuss der Förderung durch den DOSB im Rahmen des Projektes „Zugewandert und Geblieben (ZuG)“ gekommen. Es richtet sich an ältere Migrantinnen und Migranten, die bislang noch gar nicht oder lange nicht mehr mit dem deutschen Vereinssport in Kontakt gekommen sind.
Doris Simon, 54 Jahre alt und früher Tischtennis-Bundesligaspielerin, kann hinreißend von ihren Erfahrungen mit den älteren Menschen erzählen. Zusammen mit Udo Sialino, im Hauptberuf Vereinsreferent im Tischtennisverband Niedersachsen, hat sie sich in der Szene längst einen Namen gemacht. Die Beiden vermitteln ihre Sportart in diesem Projekt als lizenziertes Gesundheitssportangebot. Hierfür ist ein spezielles Kursprogramm im Rahmen des Qualitätssiegels SPORT PRO GESUNDHEIT entwickelt worden.
Tischtennis kennt jeder
Die Projekt-Ausschreibung des DOSB brachte den DTTB auf die Idee, sein Netzwerk zu nutzen. Nachdem sich Simon durch die Formalitäten gekämpft hatte, war schnell klar, dass die Vereine in Hannover, Braunschweig und Berlin förderwürdig sein könnten. Das Übungs-programm konzipierten Simon und Sialino mit Übungsleitern der Vereine vor Ort – und fanden dort Tischtennis-Interessierte vieler Nationen vor. Beim TTC Magni etwa gab es Teilnehmer aus Russland, der Ukraine, den Philippinen, Südkorea und Neuseeland. Spielerisch wurde sich aufgewärmt, dabei standen Ball und Schläger im Mittelpunkt; balancieren, tippen, prellen. Gern darf beim Üben miteinander geredet werden – woher komme ich, woher kommst du? „Es half uns sehr, dass mit Artjom ein Übungsleitungs-Assistent in Braunschweig dabei war, der russisch spricht“, sagt Simon.
Tischtennis kennt jeder. Aus der Schule. Vom Spielplatz. Tischtennis kann fast jeder. Die Einstiegshürde ist niedrig. Simon sagt: „Den Schläger hatten die meisten schon einmal in der Hand. Den Tisch sehen aber viele als Hindernis. Wir benutzen Übungserleichterungen wie größere und langsamere Bälle oder vergrößern die Spielfläche.“ Rundlauf wird in jeder Form gespielt. Die Freude am Spiel und die Freude am Wettkampf erhöhen die Motivation. Gern lässt Simon Doppel spielen, Männer mit Männern, Frauen mit Frauen. Auch gemischte Doppel. „Tischtennis bringt auf spielerische Weise zwingende Situationen mit sich. Der nahe körperliche Kontakt am Tisch ist für viele ungewohnt. Aber das war meist schon in der zweiten Kurswoche behoben“, sagt sie. Drei Monate trafen sich die Aktiven einmal die Woche. Das wirkte auch der Einsamkeit entgegen, mit der sich viele der Teilnehmer im Privatleben herumschlagen.
„Ping“ und „Pong“
Immer wieder erlebte Simon, dass die Sportlerinnen und Sportler den Drang hatten, aus ihrem Land und ihrem Leben zu erzählen. Beim STTK Berlin, einer gemischten Gruppe aus Mitgliedern mit und ohne Migrationshintergrund, erklärte die Chinesin Xue den Mitspielern die Hintergründe der Schriftzeichen „Ping“ und „Pong“. Beim Aufwärmen leitete eine Iranerin einen orientalischen Tanz an. Nach diesem Exkurs legten sich die 14 Sportler auf Matten und kräftigten die Rumpfmuskulatur. Dann wurde am sogenannten Grabentisch gespielt –hier fehlt das Netz in der Mitte. Dafür sind die Tischhälften ein deutliches Stück auseinandergerückt. Das ist eine echte Herausforderung für Freunde eingeschliffener Bewegungsmuster! Zum Abschluss folgte ein Rundlauf, der klassische Spaß-Wettkampf. „Wir wollen eine gute Mischung für Körper und Geist“, sagt Simon. Dabei bleibt alles so anstrengend, wie es für jeden Einzelnen passt. Es gebe keinerlei Leistungsdruck, versichert Simon.
Es ist gar nicht so leicht, Teilnehmende für die „ZuG“-Angebote zu gewinnen. Für Doris Simon und die Vereine war der Kontakt zu Migrantenorganisationen und den Migrationsbeauftragten der Arbeiterwohlfahrt (AWO) unerlässlich. Geworben wurde darüber hinaus auf Flyern und an Ständen bei interkulturellen Festen. Manchmal half auch ein Artikel in einer Tageszeitung oder dem kostenlosen Wochenblatt, der auf das „ZuG“-Angebot hinwies. „Wenn man die Teilnehmer gefunden hat, laufen die Kurse ausnahmslos erfreulich“, sagt Simon. Natürlich gebe es Verständigungsschwierigkeiten und am Anfang Berührungsängste. Doch die seien meist nach der ersten Stunde passé. Doris Simon sagt: „Unsere Kultur der Vereine ist einzigartig. Unsere Organisation, Sport zu treiben, ist aber vielen fremd. Ist der Zugang geschafft, ist die Teilhabe an dieser Sportkultur für alle Migrantinnen und Migranten bereichernd.“ Wer im Rahmen von „Zugewandert und Geblieben“ deutschen Vereinssport kennengelernt habe, bleibe oft genug an diesem neuen Stückchen Deutschland hängen. Und am Gesundheitssport Tischtennis. Auch der DTTB profitiert von „ZuG“: Er hat über das Projekt den perfekten Einstieg in das Thema interkulturelle Öffnung gefunden.
(Quelle: DOSB-Presse, Ausgabe 9/2015, Text: Frank Heike)
Weitere Informationen zum Projekt ZuG sowie den teilnehmenden Verbänden und Vereinen, finden Sie hier.
Für Fragen und Anregungen steht Ihnen Projektleiterin Verena Zschippang gern zur Verfügung.