Tipp des Monats: "Gesunde Schule" - Bewegung auf dem Schulweg

In der Ausgabe März/April 2013 zeigt "Gesund + fit" Möglichkeiten, wie Bewegung jenseits des Sportunterrichts in der Schule umgesetzt werden können.

"Bewegte Kinder"; Foto: Bilddatenbank LSB NRW, Andrea Bowinkelmann
"Bewegte Kinder"; Foto: Bilddatenbank LSB NRW, Andrea Bowinkelmann

Die "SportPraxis" zeigt in dieser und in den nächsten Monaten Möglichkeiten auf, wie Bewegung als Element der Gesundheitsförderung auch jenseits des Sportunterrichts in der Schule umgesetzt werden und so die Lernfähigkeiten in allen Fächern positiv beeinflussen kann. Zudem erhalten Schulen hierdurch Instrumente und Anregungen zur Herstellung gesundheitlicher Chancengleichheit. Im ersten Beitrag geht es darum, wie bereits der Weg zur Schule "bewegt" gestaltet werden kann, damit Kinder vor Beginn des Unterrichts aktiv und fit in den Tag starten können.

Wenn man die Pressemeldungen aufmerksam verfolgt, muss man die Sorge teilen, dass es um unsere Kinder schlimm bestellt ist: Die PISA-Studie macht deutlich, dass sie - angeblich - nicht genug im Kopf haben. Studien zum Bewegungsstatus von Kindern und Jugendlichen verweisen auf einen signifikanten Rückgang der körperlichen Leistungsfähigkeit. Dieser Rückgang betrifft bei Jungen wie Mädchen sehr stark den koordinativen Bereich, bei Mädchen stärker als bei Jungen auch den Ausdauerbereich.
Die Bedeutung der motorischen Entwicklung für die soziale und psychische Entwicklung von Kindern ist unbestritten und wissenschaftlich belegt. Adäquat entwickelte motorische Fähigkeiten bilden zudem einen lebenslangen Schutzfaktor zur Bewältigung der Anforderungen an die Alltagsmotorik und wirken somit den durch Bewegungsmangel mitverursachten Zivilisationserkrankungen entgegen.
Dass die sich verändernde Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen wie eine zunehmende Technisierung der Umwelt, ein immer höherer Medienkonsum, schlechte Ernährungsgewohnheiten etc. auch zu einem veränderten Freizeit- und Bewegungsverhalten führt, ist nicht verwunderlich. Experten, aber auch all diejenigen, die tagtäglich mit Kindern umgehen, stellen in der Folge die Zunahme von Haltungsschäden, Kreislaufproblemen, Übergewicht und koordinativen Schwächen fest. Auch psychische Probleme, Aufmerksamkeitsdefizite und Essstörungen sind vermehrt zu verzeichnen.
Die Auswirkungen abnehmender physischer und psychischer Leistungsfähigkeit mit allen daraus resultierenden Problemen gehen auch am Unterricht in der Schule nicht unbemerkt vorbei: Lehrkräfte klagen über zunehmende Unlust, Konzentrationsschwierigkeiten und insgesamt über einen Rückgang der allgemeinen Leistungsfähigkeit.
Immer mehr "dicke Kinder" bei gleichzeitigem Rückgang der körperlichen Leistungsfähigkeit werden zwar beklagt und erhalten in der Presse viel Aufmerksamkeit, gleichzeitig sieht die Schule sich in ihren Einflussmöglichkeiten meist auf die wenigen Stunden Sportunterricht und vielleicht noch die freiwilligen Angebote am Nachmittag in ihren Handlungsmöglichkeiten begrenzt und verweist auf Elternhaus und Sportverein. Dies ist nicht zuletzt deshalb der Fall, weil im Kontext von Schule nach wie vor die Fachleistungskompetenzen (vermeintlich ablesbar am Ergebnis von PISA) im Vordergrund stehen. Die Verbesserung mathematischer, naturwissenschafticher und Lese-Kompetenzen bekommt in der Diskussion weit mehr Gewicht als die Verbesserung physischer Messgrößen.
Gesundheitsförderung und damit der Kompetenzerwerb zum Umgang mit der eigenen Gesundheit ist als Ziel in den Lehrplänen der Schulen längst verankert und wurde gerade erst im November des vergangenen Jahres "als grundlegende Aufgabe schulischer und außerschulischer Arbeit" in einer Empfehlung der Kultusministerkonferenz in seiner Bedeutung bestätigt. Dennoch gerät die Gesundheitserziehung im Schulalltag oft in den Hintergrund. Dabei kann gerade Bewegungsförderung als unverzichtbares Element der Gesundheitsförderung durchaus auch einen wichtien Beitrag zu einer Verbesserung der Fachleistungskompetenzen leisten: Das allgemeine Wohlbefinden als Ausdruck von Gesundheit - im Sinne der Weltgesundheitsorganisation als ein Zusammenspiel physischer, psychischer und sozialer Aspekte verstanden - hat entscheidende Auswirkungen auf Lern- und Leistungsfähigkeit eines Kindes.

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Bewegung auf dem Schulweg
Mithilfe des bewegten Schulwegs wird verhindert, dass auf das passive im Auto- oder Bus-Sitzen direkt das Stillsitzen im Klassenzimmer folgt. Ein bewegter Schulweg kann Lernvoraussetzungen schon vor Beginn des Unterrichts positiv beeinflussen: Dänische Forscher fanden heraus, dass Kinder, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad zur Schule kamen, im Unterricht konzentrierter waren als Kinder, die mit dem Auto oder Bus kamen.

Walking Bus
Der sogenannte "Walking Bus" ist eine Idee aus Großbritannien, die in Deutschland vorwiegend durch den Sportwissenschaftler Prof. Dr. Brettschneider der Universität Paderborn implementiert wurde. Der "Walking Bus" ist eine Gehgemeinschaft auf dem Schulweg und soll die Fahrt mit dem Auto zur Schule ersetzen. Die Kinder laufen wie ein Linienbus nach einem Fahrplan zu festgelegten Zeiten vereinbarte "Haltestellen" an und sammeln so nach und nach immer mehr Kinder auf dem Schulweg ein. Da der "Bus" von Erwachsenen begleitet wird, gelangen die Kinder sicher zur Schule und nach dem Unterricht wieder nach Hause.
Die Aktion "Walking Bus" bringt Kinder in Bewegung: Es hat sich gezeigt, dass sich Kinder durch den Walking Bus etwa 35 Minuten mehr bewegen, als wenn sie mit dem Auto in die Schule gebracht würden und damit bereits mehr als die Hälfte der international für Kinder geforderten 60 Minuten körperlicher Aktivität schon vor Beginn der Schule absolviert haben.
Darüber hinaus leistet der Walking Bus einen Beitrag zur Verkehrserziehung, fördert Selbständigkeit und Kommunikation und bereitet die Konzentration der Kinder auf den Unterricht vor. Dies geschieht durch die Bewegung, die frische Luft und weil die Kinder bereits auf der "Fahrt" die Gelegenehit haben, sich mit ihren Schulfreunden auszutauschen und so der erste "Erzählbedarf" gestillt ist. In einer Studie zum Walking Bus konnte belegt werden, dass Kinder, die zu Fuß zur Schule gehen, sich in den ersten Schulstunden nachweislich besser konzentrieren konnten als diejenigen, die mit dem Auto oder Bus kommen. Da die Walking-Bus-Kinder noch bessere Konzentrationsleistungen aufwiesen als die Kinder, die "nur" zu Fuß zur Schule kamen, scheint neben der körperlichen Aktivität offensichtlich auch der gemeinsame Schulweg in einer Gruppe günstige Lernvoraussetzungen zu schaffen.

Organisatorische Voraussetzungen
Die Idee des Walking Buss ist in erster Linie für Grundschulen gedacht, da bei diesen - besonders im städtischen Umfeld - die Entfernung der Kinder zu ihrer Grundschule anders als bei weiterführenden Schulen oft hinsichtlich der Entfernung einen Schulweg zu Fuß zulässt.
Für einen Walking Bus, der 8 bis 14 Schulkinder "befördert", werden zwei Erwachsene benötigt. Diese sollen jedoch den Bus nur sichern und laufen deshalb auch am Ende der Gruppe. Die Kinder sollen selbst lernen, umsichtig und verantwortungsvoll im Straßenverkehr zu agieren. Deshalb sind die vorderen 2 bis 4 Kinder die "Busfahrer", die den Bus durch den Verkehr "steuern", die letzten beiden Kinder die "Schaffner", die die Gruppe im Auge behalten.
Die Bushaltestellen werden auf die "Mitfahrer" ausgerichtet und sollen so am Weg verteilt sein, dass einerseits die Kinder, die zusteigen wollen, möglichst nur einen kurzen Fußweg bis zu ihrer Haltestelle haben. Andererseits soll ein möglichst kurzer und vor allem sicherer Weg zur Schule gewährleistet werden. Die Schulwegrouten werden i.d.R. in Zusammenarbeit mit der Schule und den Verkehrssicherheitsberatern der Polizei entwickelt.
Der Bus "fährt" übrigens bei jedem Wetter!
In manchen Schulen wird die Motivation von Kindern und Eltern für den Schulweg zu Fuß (auch unabhängig eines "Walking Bus") gefördert, indem ein Wettbewerb ausgerufen wird, der entweder die Kinder, die in einer bestimmten Zeit besonders viele "Zu-Fuß-Kilometer" sammeln, auszeichnet oder aber die Schulklasse prämiert, die die meisten Fußgänger oder Radfahrer vorweisen kann.

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Schulweggestaltung
Der Walking Bus erfordert viel Initiative und Organisationstalent von Eltern und/oder der Schule. Es gibt (natürlich auch in Kombination mit dem Walking Bus) weitere Ideen, um Schüler zu motivieren, zu Fuß zur Schule zu gehen und um den Schulweg spannender und vor allem bewegter zu gestalten:
Selbst kleine Veränderungen wie Balancierbalken, aufgezeichnete Hüpfspiele, Ziele zum Abschlagen oder Geräusche verursachen, Pfähle zum Hüpfen, Mosaikplatten, Bodentatoos, kleine Fußspuren oder bemalte Steine auf dem Gehweg sind Möglichkeiten, Bewegungsanreize entlang der Wege zu schaffen. Sinnvoll ist es, solche "Bewegungsreminder" sternförmig um die Schule auf den am häufigst genutzten Routen einzurichten. Die so gestalteten Strecken sollten mindestens 500 m lang sein und selbstverständlich verkehrstechnisch so gelegen und gestaltet sein, dass sie Bewegung und Spiel der Kinder im Straßenverkehr nicht gefährden.

ToDo:

  • Verantwortungsbewusste, interessierte Eltern suchen, die die Organisation übernehmen
  • Teilnahmeliste zusammenstellen (mit Telefonnummern)
  • Route festlegen (i.d.R. in Zusammenarbeit mit Schule und Verkehrssicherheitsberatern der Polizei)
  • Haltestellen bestimmen
  • Uhrzeiten festlegen
  • Begleitpersonen einteilen
  • Versicherungsfragen klären (Schülerunfallversicherung, Unfallversicherungsschutz)
  • Leucht-Equipment für Kinder und Erwachsene organisieren

Bewegter Start in den Schultag
Leider sind die Möglichkeiten, die Schule mit dem Rad oder zu Fuß zu erreichen, gerade in ländlichen Gebieten oder auch bei weiterführenden Schulen häufig beschränkt. Eine Alternative, um dennoch mit wachen, bewegten und somit konzentrierten Kindern und Jugendlichen den Schulalltag zu beginnen, besteht in diesem Fall darin, nicht den Schulweg, sondern den Schulbeginn bewegt zu gestalten. Dies kann beispielsweise dadurch gelingen, dass die Klasse oder der interessierte Teil der Klasse sich bereits 20-30 Minuten vor Unterrichtsbeginn trifft. Beteiligen sich mehrere Klassen an einem solchen Projekt, so kann in der Sporthalle mit einer gemeinsamen Bewegungsaktion unter der Leitung eines Lehrers oder engagierter Eltern klassenübegreifend in den Tag gestartet werden. Das kann beispielsweise mit einem immer gleichen "bewegten Schulsong" passieren, durch ein kleines Fitnessprogramm oder aber kleine Spiele. Ähnliches ist auch im Klassenraum möglich, wenn sich nur eine Klasse dafür entscheidet, bewegt in den Schultag zu starten. Eine wachere, konzentriertere und vor allem aber auch emotional besser gestimmte Klasse dürfte den Lehrkräften mit einem solch bewegten Unterrichtsbeginn sicher sein.

Warum derlei Bewegungsimpulse auch außerhalb des Schulsports lerntheoretisch Sinn machen und wie Bewegung in den Unterricht und den Schulalltag auch jenseits des Fachs Sport integriert werden kann, wird im nächsten Beitrag beleuchtet.

Links zu diesem Thema:
www.kiggs-studie.de
www.wiad.de
www.walkingbus.de
www.zu-fuss-zur-schule.de
http://sciencenordic.com/cildren-who-walk-school-concentrate-better

Literatur:
Lothar Klaes, u.a.: Bewegungsstatus von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Frankfurt 2003

Dr. Uta Engels, Matthias Geier, Thomas Kißlinger, Klemens Pöllmann, Franz Saller und weitere Studierende des Seminars Sportpädagogik I an der Universität Regensburg

Dieser Artikel erscheint auch in der Zeitschrift SportPraxis 3+4/2013
www.sportpraxis.com


  • "Bewegte Kinder"; Foto: Bilddatenbank LSB NRW, Andrea Bowinkelmann
    "Bewegte Kinder"; Foto: Bilddatenbank LSB NRW, Andrea Bowinkelmann