Von der Arztpraxis in den Sportverein

Viele Ärzte fördern aktiv das Sporttreiben ihrer Patienten. Wie das aber noch verbessert werden kann, schildert im Interview Prof. Jens Kleinert, Mitautor der Studie „Von der Arztpraxis in den Sportverein.“.

Professor Jens Kleinert von der DSHS ist Mitautor der Studie "Von der Arztpraxis in den Sportverein.". Foto: privat
Professor Jens Kleinert von der DSHS ist Mitautor der Studie "Von der Arztpraxis in den Sportverein.". Foto: privat

Herr Prof. Kleinert, können Ärzte tatsächlich Menschen zum Sport bringen?

Naja, davon gehen wir aus. Leider kann man das in der Wissenschaft nicht so schön nachweisen, wie wir das eigentlich von der Praxis her glauben. Unsere Studienübersicht zu diesem Thema zeigt, dass es zwar viele sehr erfolgreiche Modelle gibt, aber es gibt eben auch viele Modelle, die zeigen, dass es auch nicht klappen kann. Der Erfolg scheint offensichtlich von Bedingungen abhängig zu sein, die häufig nicht untersucht wurden.  Also zum Beispiel von der Motivation des Arztes, von seiner Bereitschaft, von seinem Enthusiasmus, vielleicht von seiner eigenen Sportkarriere. Es wurde abgefragt, ob Beratung gemacht wird, aber nicht, wie sie genau gemacht wird. Solche Faktoren scheinen aber entscheidend zu sein.

Ist es wichtig, dass speziell Ärzte darauf hinweisen, dass die Menschen sich bewegen?

In unserem Gesundheitssystem hat der Arzt als solcher eine ganz wichtige Rolle. Glücklicherweise gehen viele Menschen zu Vorsorgeuntersuchungen. Der Arzt sieht also den Menschen in gewisser Regelmäßigkeit und kann mit ihm sprechen. Darüber hinaus hat er aus Sicht des Patienten einen hohen Vorsprung an Kompetenz und an Vertrauen. Er wird als Experte in den unterschiedlichsten Dingen wahrgenommen. Ob er das so möchte, oder ob er dem gerecht werden kann, steht auf einem anderen Blatt, aber er hat es erst mal. Und so kann er viel überzeugender als zum Beispiel ein Medium oder eine Zeitschrift transportieren, dass Sport und Bewegung etwas Gutes sind und gleich noch darauf hinweisen, wie man das umsetzen kann.

Ist dabei ein Rezept für Bewegung hilfreich?

Erst mal ist das eine tolle Idee. Denn allein durch den Begriff Rezept wird transportiert, dass Bewegung und körperliche Aktivität eigentlich das beste Medikament ist, was man sich denken kann. Das ist ein Signal: Bewegung ist besser als jede Pille. Außerdem bekommt es dadurch auch einen gewissen Verbindlichkeitscharakter. Das ist ein Rezept, und da musst Du Dich jetzt dran halten. Letztlich kann man aber nicht nachweisen, was es gebracht hat, weil auch das mehr an Kleinigkeiten liegt. Das Rezept allein ist zwar ein wichtiger Impuls wie ein  Plakat, das ich sehe, oder wie jemand, der mir einen Tipp gibt, aber es führt  nicht zwingend zur nachhaltigen oder tatsächlichen Umsetzung von Bewegung.

Was fehlt da noch?

Es hängt schon einmal davon ab, was draufsteht. Wenn nur draufsteht, Sie müssten mal ein bisschen mehr Sport machen, bringt es natürlich nichts. Wenn aber genau draufsteht, wie das empfohlene Bewegungsangebot aussehen soll, dann ist es schon einmal mehr als hilfreich.

Aber das gibt es doch schon. Das „Rezept für Bewegung“ des DOSB, der BÄK und der DGSP beispielsweise verweist auf spezielle Kursprogramme, man kann Trainingsschwerpunkte ankreuzen und weitere Hinweise für die Patientin oder den Patienten einfügen.

Stimmt, und das ist auch ein sehr guter Ansatz. Was so ein Rezept aber nicht aus dem Weg räumen kann,  sind die Handlungsbarrieren. Vielleicht weiß ein Mensch nicht, wie er das mit dem Sport jetzt anstellen soll. Das heißt, wo soll er hin, was braucht er alles, wer ist sein Ansprechpartner, wo ist vielleicht ein passender Verein? Vielleicht hat er auch Befürchtungen, ob er das überhaupt kann oder ob er vielleicht in der Gruppe ausgelacht wird. Dieses fehlende Wissen aufzuarbeiten, wie man das Rezept umsetzt und wie man Befürchtungen ausräumt, das kann nur eine Beratung leisten, und sei sie auch nur drei, vier Minuten lang.

Und die sollen die Ärzte machen?

Es muss halt in der Praxis passieren, aber das kann auch eine Praxishelferin übernehmen. Es ist natürlich schön, wenn der Arzt das unterstützt. Er könnte vielleicht nachhaken, waren Sie denn hier bei meiner Assistentin oder so.

Dafür müssen die Ärzte aber auch davon wissen. Über welche Wege können Informationsdefizite bei Ärzten geschlossen werden? Welche Rolle sollten aus Ihrer Sicht auch die Ärzteverbände spielen?

Diese Sache ist tatsächlich nicht ganz einfach, denn Ärzte werden mit allen möglichen Informationen fast schon zugeschüttet; da gehen Informationen zu solch einem Vorhaben häufig verloren. Die Verbände könnten daher für die Eingliederung solcher Informationen in Fort- und Weiterbildungen oder auf Tagungen sorgen. Die persönliche und mündliche Info wirkt hier stärker als ein Flyer oder ein Informationsblatt.

Wie wollen Sie denn darüber hinaus die Ärzte zum Mitmachen bewegen?

In unserem Projekt haben wir viele Ärzte befragt. Dabei haben wir unterschiedliche Typen identifiziert. Die selbst Sportbegeisterten sind uns natürlich am liebsten. Das sind vielleicht zehn, 15 Prozent, die sagen, ich mache selbst Sport so gern, und das bringt mir so viel, ich möchte das auch an meine Patienten weitergeben. Das ist eine sehr persönliche, individuelle Motivationslage. Dann gibt es eine Gruppe, die noch nicht so richtig überzeugt ist, ob es eine gute Sache ist und etwas bringt, zumal es ja auch immer die Frage von Aufwand und Effekt ist. Die fragen sich: Ich investiere da fünf Minuten mehr pro Patient, was kommt dabei heraus. Diese Skeptischen und Kritischen könnte man vielleicht mit Argumenten überzeugen, vor allem mit Erfolgen, also wenn z.B. von zehn beratenen Leuten fünf im Verein ankommen, was eine top Quote wäre. Die dritte Gruppe nimmt eher den Standpunkt ein, dass eine zusätzliche Beratung auch bei den Kassen abrechnungsfähig sein muss. Die sagen vielleicht, ich finde das ja toll, was ihr da macht, aber es kann nicht sein, dass ich das neben alle meiner sonstigen Arbeit umsonst mache. Aus deren Sicht auch eine verständliche Auffassung.

Wie möchten Sie weiter vorgehen?

Wir müssen entscheiden, ob wir alle Typen gleichzeitig bedienen oder erst einmal mit einem Typus anfangen sollen, den wir vielleicht auch ohne kassenärztliche Abrechnung  überzeugen können. Ich neige dazu, Schritt für Schritt zu gehen und erst einmal den Hochengagierten etwas Schönes anzubieten. Dann nehmen wir die Gruppe der noch Skeptischen, aber durchaus Überzeugbaren, und vielleicht bekommen wir das auch irgendwann hin, dass man so eine Beratung auch extra abrechnen kann.

Wenn Sie ihnen Erfolge präsentieren können?

Richtig. Wir, die im Sportsystem stecken,  die Trainer, die Athleten, wir sind ja überzeugt. Wir wissen, das ist effektiv, das ist eine tolle Prävention, da brauche ich keine Untersuchung. Aber der Krankenkasse muss man das schon schwarz auf weiß vorrechnen können. Und so weit sind wir leider noch nicht.

Aber Sie sind da dran. Es gibt ja künftig auch eine ärztliche Präventionsempfehlung.

Es ist erfreulicherweise Bewegung in der Sache. Wir haben die Hoffnung, dass die Gesundheitspolitik immer ein bisschen mehr auf die Prävention schaut. Wenn man die Gesundheitsausgaben insgesamt nimmt, sind die Präventionsausgaben zwar immer noch ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wir sind nach wie vor eine Rehagesellschaft, aber keine Präventionsgesellschaft. Aber steter Tropfen höhlt den Stein. Wir müssen auch die kleinen Schritte gehen und die politische Situation auch dafür nutzen.

Was wäre denn Ihr größter Wunsch an die Politik?

Ich würde mir als Wissenschaftler wünschen, dass kleine Erfolge in der Praxis Großes bewegen. Ich möchte zum Beispiel mit kleinen Modellen zeigen, dass wir die Quote derjenigen steigern können, die wirklich in so einer Beratung waren und dadurch in den Verein gehen. Wir haben derzeit noch kaum intelligente Beratungsmodelle, die die oben beschriebenen Barrieren beseitigen können, also wirklich auf die Probleme der Leute eingehen, warum sie nicht im Verein landen. Bisher gibt es eher Beratungsmodelle, mit denen man die Leute überzeugt, dass Sport etwas Gutes ist, aber das brauchen wir gar nicht mehr so sehr, das wissen sie. Wir müssen bei der Umsetzung helfen.  Wir müssen der Frau Maier in drei oder vier Minuten mit einer geschickten App auf dem Smartphone oder am Tablet vermitteln können, dass das der Herr Müller ist, der ist beim Verein xy, und da können Sie sich dienstags um 12 Uhr melden, rufen Sie dort mal an.

Es ist manchmal gar nicht so einfach, die große Politik von so praktischen Dingen zu überzeugen.

Für mich ist die große Politik ein Tanker, der ganz langsam in Gang kommt. Wir müssen ab und zu mal ein kleines Schnellboot rechts und links ablassen, ein kleines Modell, mit dem wir dem Tanker zeigen, was alles möglich ist, wenn er Gas gibt. Das versuchen wir in der Wissenschaft:  Best Practice Modelle, oder  zumindest Good Practice Modelle. Das heißt, wenn wir die Beratung etwas verbessern können, hätten wir bei einem Aufwand von fünf Minuten eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Patient im Verein ankommt.  Daran würde ich gerne arbeiten.

Wie zufrieden sind Sie mit der anderen Seite, also mit dem Sport?

Wir haben in Deutschland ein tolles Vereins-Sportsystem. Und es hält sich ja trotz der privaten Fitnesswelle sehr gut. Wir haben eine hervorragende Angebotsstruktur, mit der ich sehr zufrieden bin. Aber wir können noch besser werden in der Vermittlung:  Wir müssen die Angebote noch mehr und geschickter Kindern, Jugendlichen, Erwachsenen und älteren Menschen nahe bringen, so dass sie  noch besser genutzt werden. Mitscheidend ist, dass die Arztpraxis die Informationen hat und in der Lage ist, innerhalb von 90 Sekunden ein Angebot zu finden für den Patienten. Wenn wir dann noch Ängste und Barrieren reduzieren und die tatsächliche Umsetzung vereinfachen, dann kommen wir große Schritte weiter.

Opens external link in new windowWeiterführende Informationen zur Studie >>> 

Informationen zum „Rezept für Bewegung“ des DOSB, der BÄK und der DGSP sowie SPORT PRO GESUNDHEIT-Angebote in Ihrer Nähe gibt´s unter Opens external link in new windowwww.sportprogesundheit.de.

(Quelle: DOSB/ Das Gespräch führte Ulrike Spitz)


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