Wer an Krebs erkrankt ist, durchlebt eine der schlimmsten Phasen seines Lebens: Schmerzen, die häufig starken Nebenwirkungen der Behandlung, Angst vor dem Tod, Umgang mit körperlichen Veränderungen oder den Folgen von Operationen, soziale Isolation, Umgang mit einer veränderten Lebenssituation, krankheitsassoziierte Depressionen: All dies sind mögliche Themen, mit denen sich Krebspatienten und zum Teil auch deren Angehörige auseinandersetzen müssen. Sport heilt keinen Krebs, kann aber auf viele dieser Probleme einen positiven, lindernden Einfluss nehmen und im Vorfeld sogar den Krebs verhindern helfen.
Bei der positiven Wirkung von Bewegung und Sport bezüglich der Prävention, aber auch Behandlung von Erkrankungen, denkt man üblicherweise an Herz-Kreislauf-Erkrankungen sowie Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems. Dass Bewegung und Sport jedoch auch präventiv bezüglich Tumorerkrankungen wirken und sogar positiven Einfluss auf den Therapieverlauf bestehender Krebserkrankungen nehmen können, ist immer noch eine weitestgehend unbekannte Erkenntnis.
Sport und Bewegung in der Krebsvorbeugung
Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass regelmäßige körperliche Aktivität bestimmten Krebsarten vorbeugen kann. Menschen, die sich viel bewegen, erkranken statistisch gesehen deutlich seltener als die Durchschnittsbevölkerung an Dick- und Enddarmkrebs sowie Brustkrebs. Je nach Vorhandensein anderer Risikofaktoren wie familiärer Disposition oder Rauchen und Übergewicht kann bei einer Stunde intensivem Sporttreiben pro Woche das postmenopausale Brustkrebsrisiko um etwa 25 Prozent reduziert werden. Kombiniert man andere Effekte, wie z.B. körperliche Aktivität im Beruf, so sind bei zwei bis drei Stunden Sport pro Woche Risikoreduktionen um ca. 40 Prozent erreichbar! Beim Dickdarmkrebs geht man ebenfalls von einer Risikoreduktion von 40 Prozent aus, beim Endometriumkarzinom um 25 Prozent. Auch beim prämenopausalen Brustkrebs, bei Lungen- und Bauchspeicheldrüsenkrebs vermutet man präventive Effekte.
Die präventive Wirkung körperlicher Aktivität beruht ganz wesentlich auch auf der Vermeidung von Übergewicht, denn Überernährung führt zu Stoffwechselaktivitäten wie beispielsweise einer vermehrten Ausschüttung von Wachstumshormonen, die in der Folge das Wachstum von Zellen fördern und gleichzeitig die Wachstumskontrolle schwächen und so den Boden für Tumorerkrankungen bereiten. Bewegung und Sport hingegen beeinflussen den Insulinspiegel und die Konzentration weiterer Hormone und Botenstoffe im Blut, die in den Zellen als Wachstumssignale fungieren, positiv und sorgen so für gegenteilige Prozesse.
Bedeutsam bezüglich Sport und Bewegung in der Krebsprävention ist außerdem die Tatsache, dass das "Medikament Sport" anders als echte Medikamente ganzheitlich wirkt, das heißt nicht nur selektiv auf Muskulatur, Stoffwechsel oder Psyche, sondern gleichermaßen positive Wirkung auf die Regulationsprozesse all dieser Systeme hat und zudem die Befindlichkeit verbessert.
Welcher Sport wirkt?
Interessanterweise ist bei der Prävention von Krebserkrankungen nicht so bedeutsam, welcher Sport betrieben wird, sondern wichtig ist zunächst einmal, das der Mensch sich überhaupt bewegt! Ab 30 Minuten Sport pro Woche, lassen sich positive Effekte nachweisen, wobei die Empfehlungen aufgrund der besseren Wirkung natürlich bei zwei bis drei Stunden pro Woche liegen.
Sport und Bewegung: Unterstützung für Krebspatienten
War die Erkenntnis, dass Sport das Auftreten von Krebserkrankungen verhindern kann, schon ein Meilenstein, so war die Empfehlung bei bestehenden Tumorerkrankungen jedoch noch bis vor Kurzem, dass der Patient Ruhe und Schonung brauche. In der Akutphase von Krebserkrankung und -behandlung, also während der Chemo- oder Strahlentherapie, erschien bisher eine zusätzliche körperliche Belastung durch Sport ausgeschlossen oder kontraproduktiv zu sein. Diese Einschätzung beruhte im Wesentlichen darauf, dass die körperliche Leistungsfähigkeit durch die Krankheit und die Behandlung mit ihren medikamentösen Nebenwirkungen stark eingeschränkt ist. Dieser Leistungsrückgang wiederum ist wesentlicher Grund für das Auftreten des sogenannten "Cancer-related-Fatigue"-Syndrom sowie depressiven Störungen. Hierbei handelt es sich nicht um vernachlässigbare Nebenwirkungen, sondern diese Begleiterscheinungen der Krebserkrankung und Behandlung haben bedeutsamen Einfluss auf die Lebensqualität, die Aufenthaltsdauer im Krankenhaus und die Fähigkeit und Motivation der Patienten sich proaktiv an der Behandlung zu beteiligen und nehmen so bedeutsamen Einfluss auf die Überlebenswahrscheinlichkeit.
Versuchte man früher, die eingeschränkte Leistungsfähigkeit mit entsprechender Schonung zu beantworten, weiß man heute, dass verminderte Aktivität als Antwort auf die schnellere Erschöpfung in einem Teufelskreis immer geringerer Leistungsfähigkeit mit wiederum verminderter Aktivität usw. mündet.
Mittlerweile liegen zahlreiche Studien vor, die belegen, dass sportliche Aktvität während der Erkrankung und der Therapie positive Effekte hat: Über die positive Beeinflussung des Herz-Kreislauf-Systems wie auch eine Zunahme der Muskelmasse steigt die Leistungsfähigkeit an, das Fatigue-Syndrom wird geringer, der Patient fühlt sich besser, ist weniger auf Hilfe von außen angewiesen und verkraftet vor allem die Chemo- und Strahlentherapie besser: Übelkeit, Erbrechen, Kopfschmerzen etc. treten seltener bzw. weniger ausgeprägt auf. Auch auf die Schmerzen scheint der Sport eine positive Wirkung auszuüben. Ob und inwiefern Sport Einfluss auf das Tumorwachstum nehmen kann und auch über die Mechanismen die Überlebenszeit der Patienten beeinflusst, ist bislang nicht geklärt. Es gibt jedoch erste Studien, die darauf hindeuten, dass die Wiedererkrankungsrate gesenkt werden kann.
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Psychische Anforderungen bei Tumorerkrankungen und Effekte sportlicher Aktivität
Neben den körperlichen Beeinträchtigungen ist vor allem die psychische Situation von Tumorpatienten schwierig: Plötzlich von der Erkrankung überrascht, müssen sie nicht nur mit den Schmerzen und den Nebenwirkungen der Therapie, sondern vor allem aber mit den einhergehenden Ängsten und Unsicherheiten zurechtkommen. Da die Erkrankung in ihrem Verlauf nicht vorhersagbar und kontrollierbar ist, haben die Patienten oft Gefühle von Hilf- und Hoffnungslosigkeit, die häufig in einer Depression enden. In unserer Geselleschaft ist Krebs immer noch eng mit Sterben assoziiert - und das unabhängig vom tatsächlichen Schweregrad der Erkrankung. Wer an Krebs erkrankt, hat ohnehin Angst um sein Leben, aber zusätzlich wird er aus seiner Umwelt immer wieder als "todkrank" stigmatisiert. Gleichzeitig sind Krankheit und Sterben bei uns Tabuthemen, über die kaum gesprochen wird, sodass die Patienten mit ihren Sorgen und Ängsten, aber auch Hoffnungen oft allein ohne Möglichkeit zur Kommunikation bleiben. Auch die Tatsache, dass Krebspatienten meist lange Unterbrechungen ihrer Berufstätigkeit hinnehmen müssen oder gar nicht in den Beruf zurückkehren können, verstärkt die soziale Isolation.
Gerade das Sporttreiben in einer Gruppe (nicht nur aber auch) mit anderen Patienten vermittelt Sicherheit und Kontaktmöglichkeiten zu anderen Betroffenen. Es entsteht ein Rahmen, in dem die Krankheit einerseits thematisiert werden kann, sie andererseits durch Spiel und Sport auch mal in den Hintergrund rücken und für eine Weile vergessen werden kann.
Das Sporttreiben während der Therapie wie auch in der Nachsorge erfüllt deshalb auch wichtige psychologische Funktionen: Die Patienten erfahren insgesamt eine Steigerung des Wohlbefindens und zwar zum einen über eine kurzfristige Regulierung emotionaler Zustände, zum anderen auch langfristig, da sie wieder Gefühl und Zutrauen zum eigenen Körper bekommen. Sie sind so besser in der Lage im Sinne der Selbstwirksamkeit die Überzeugung zu entwickeln, die Krankheit selber positiv beeinflussen zu können und ihr Umfeld als unterstützend wahrzunehmen und zu nutzen. So gehen langfristig depressive Verstimmungen und Ängstlichkeit zurück.
Welchen und wie viel Sport?
Selbstverständlich muss Sport bei Krebspatienten nach eingehender ärztlicher Beratung durchgeführt werden, denn natürlich gibt es Kontraindikationen, die ein körperliches Training nicht zulassen. Liegen jedoch keine Kontraindikationen vor, so sollte sich jeder Patient bewegen! An den Tagen, an denen Chemotherapie verabreicht wird, sollte das Training unterbrochen werden, da einige der Medikamente Herz oder Nieren schädigen können. Während der Strahlentherapie hingegen, muss das Training nicht ausgesetzt werden.
Bei der Auswahl der sportlichen Aktivität und der Intensität ist eine enge Abstimmung zwischen Arzt und Übungsleiter notwendig. Bei der Auswahl der Sportart muss natürlich vor allem den Vorlieben des Patienten Rechnung getragen werden und besondere Einschränkungen durch die Tumore oder Folgen von Operationen müssen berücksichtigt werden.
Beim Ausdauertraining wird eine Herzfrequenz von 70-80 Prozent der maximalen Herzfrequenz für das tägliche Training empfohlen. Können die Patienten diesen Intensitäten anfänglich nicht folgen, empfiehlt sich ein Intervalltraining.
Auch im Krafttrainingsbereich kann trainiert werden. Es wird empfohlen, etwa 40-70 Prozent der Maximalkraft einzusetzen - je nach Trainingsziel - und 3 Serien bei 10-12 Wiederholungen durchzuführen.
Durch gezielte Gymnastik, Flexibilitätstraining und Koordinationsübungen lassen sich außerdem Einschränkungen der Beweglichkeit, die durch den Tumor bzw. die Operation entstehen können, vermindern oder gar ganz vermeiden.
Insgesamt sollten die sportlichen Aktivitäten 30-40 Minuten pro Sitzung dauern und etwa 3-mal pro Woche stattfinden.
Die Praxis
1981 hat der Landessportbund NRW als erster Landessportbund begonnen, Sportangebote für Krebspatienten einzurichten. Mittlerweile gibt es bundesweit in vielen Sportvereinen Krebssportangebote. Sport in der Krebsnachsorge ist sogar auf Rezept möglich: Der Arzt muss auf dem Formular 56, dem "Antrag auf Kostenübernahme für Rehabilitationssport", die Diagnose Krebs bestätigen und die Einschränkung benennen, die durch Sport gemildert oder vermieden werden soll. Eine Verordnung umfasst in der Regel 50 Lerneinheiten innerhalb von 18 Monaten.
Es besteht ein großer Bedarf an Übungsleitern, die Krebssportgruppen übernehmen möchten. Viele Übungsleiter sind verständlicherweise unsicher, wie viel sie den Patienten zumuten können, vor allem aber, wie sie den Patienten begegnen sollen. Auf diese Fragen geben die speziellen Übungsleiterausbildungen bei den Landessportbünden oder dem Deutschen Behindertensportverband Antworten: In den Ausbildungen auf der zweiten Lizenzstufe "Sport in der Rehabilitation" mit dem Schwerpunkt Krebsnachsorge lernt man nicht nur, die Belastungsparameter richtig zu wählen und je nach Krebsart auf besondere Schwierigkeiten einzugehen, sondern vor allem auch viel Menschenkenntnis im Umgang mit den Patienten, z.B. in Krisen wie nach Rückfällen oder wenn ein Gruppenmitglied stirbt. Dann ist es selbstverständlich wichtig, in der Gruppe Raum für die Ängste und die Trauer zu schaffen und gleichzeitig wieder durch den Sport auch von dieser ein Stück weit abzulenken.
Literaturhinweise
Baumann, F.T.; Schüle, K. (Hg.) (2008): Bewegungstherapie und Sport bei Krebs. Köln.
Deutsche Krebshilfe (Hg.) (2009): Bewegung und Sport bei Krebs: Ein Ratgeber für Betroffene, Angehörige und Interessierte. Bonn.
Württembergischer Landessportbund (Hg.) (2009): 33. Sportmedizinisches Seminar: "Mit Sport gegen Krebs". Stuttgart.
Weitere Informationen
Informationen zu Krebssportgruppen aber auch zu Übungsleiterausbildungen findet man bei den Landessportbünden (Adressen: siehe www.dosb.de), beim Deutschen Behindertensportverband www.dbs-npc.de, bei der Deutschen Krebshilfe www.krebshilfe.de sowie der Stiftung Leben mit Krebs www.rudern-gegen-krebs.de
Dieser Artikel erscheint auch in der Zeitschrift SportPraxis 3+4/2010 www.sportpraxis.com