Interview zum Rezept für Bewegung

Interview mit Rudolf Henke, Vorstandsmitglied der Bundesärztekammer, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Vorsitzender der Ausschüsse "Krankenhaus" und "Gesundheitsförderung, Prävention und Rehabilitation" der Bundesärztekammer.

Rudolf Henke; Foto: Bundesärztekammer
Rudolf Henke; Foto: Bundesärztekammer

Wie kam es zu der Idee, das "Rezept für Bewegung" zu entwickeln? Warum unterstützt die BÄK diese Idee?

Die Idee zum „Rezept für Bewegung“ besteht schon länger und wurde bereits 2005 in Berlin und 2006 in Hessen gemeinsam von den Landessportbünden, den Landesorganisationen des Sportärztebundes und den jeweiligen Landesärztekammern umgesetzt. Mit dem Rezept kann die Motivation zu gesundheitsfördernden Verhaltensweisen gestärkt werden. Damit beschränkt sich ärztliches Handeln nicht nur auf sekundärpräventive Maßnahmen der Früherkennung von Krankheiten, sondern versucht auch bestehende Risikofaktoren in der ärztlichen Beratung zu thematisieren.

Was sind aus Ihrer Sicht die stärksten Argumente für das "Rezept für Bewegung"?

International werden drei mal 30 Minuten intensive Bewegung pro Woche empfohlen. Dadurch kann das Risiko, an einer Herz-Kreislauferkrankung zu erkranken, deutlich gesenkt werden. Aber auch auf andere chronische Erkrankungen, wie Diabetes mellitus, verschiedene Krebserkrankungen wie auch Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates wirkt sich intensive Bewegung positiv aus. Nach vorliegenden epidemiologischen Untersuchungen erfüllen jedoch nur 13 Prozent der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland die Bewegungsempfehlungen. Das Rezept unterstreicht die ärztliche Beratung, hat damit einen verbindlicheren Aufforderungscharakter und kann die Motivation zur Verhaltensänderung stärken. Es schafft eine Brücke zwischen Arztpraxis und Vereinssport und gibt dem Arzt die Möglichkeit, dem Patienten eine qualitätsgesicherte Bewegungsmaßnahme zu empfehlen.

Welchen Stellenwert hat die Zusammenarbeit mit dem DOSB als Vertreter des organisierten Sports? Wie wichtig sind die Qualitätsstandards, die die Vereine erbringen müssen?

Für den Arzt ist es wichtig, dem Patienten nicht nur allgemeine Bewegungsangebote mit auf den Weg zu geben, sondern auch konkrete Angebote machen zu können, die festgelegten Qualitätsstandards unterliegen. Dies trifft für die mit dem Siegel SPORT PRO GESUNDHEIT ausgezeichneten Angeboten zu. Die Qualitätskriterien sichern ein zielgruppengerechtes Angebot, eine qualifizierte Leitung, einheitliche Organisationsstrukturen, einen präventiven Gesundheitscheck, ein begleitendes Qualitätsmanagement und zertifizieren gesundheitssportorientierte Sportangebote im Verein. Diese Gesundheitsangebote sind bundesweit verfügbar. Ca. 19.000 Angebote sind mit dem Qualitätssiegel SPORT PRO GESUNDHEIT ausgezeichnet. Viele Krankenkassen haben das Siegel als qualifizierte Maßnahme zur Primärprävention anerkannt. In diesen Fällen haben die Versicherten die Möglichkeit, sich einen Teil der Kurskosten rückerstatten zu lassen. Angebote von SPORT PRO GESUNDHEIT sind von einigen Kassen auch in das Bonusprogramm aufgenommen worden.

Wird die Prävention durch Bewegung im deutschen Gesundheitswesen nicht viel zu wenig gefördert?

Den gesetzlichen Krankenkassen ist die finanzielle Förderung von Bewegungsangeboten prinzipiell ermöglicht. Die Anerkennungskriterien für förderungswürdige Angebote werden jedoch allein von den Kassen selber aufgestellt, eine ärztliche Bewertung fehlt weitgehend. Es entsteht so oft der Eindruck, dass die Angebote der Kassen eher an Marketingzwecken  als am medizinischen Nutzen ausgerichtet sind. Daher ist es wichtig, nicht nur irgendeine Bewegung, sondern die richtige und angemessene Bewegung zu empfehlen bzw. entsprechende Angebote anzubieten und zu fördern.

Wie darf man sich die Beratung in der Arztpraxis vorstellen? Warum sollten Ärzte Bewegung "verschreiben", obwohl sie dafür nicht bezahlt werden?

Das Ausstellen des Rezeptes eignet sich im Rahmen einer ärztlichen Beratung zu bestehenden Risikofaktoren bzw. im Kontext einer Gesundheitsuntersuchung. Das Rezept passt sich formal einer ärztlichen Verordnung an, ist aber mit dieser nicht zu verwechseln und somit auch nicht abrechnungsfähig. Es kann aber über den Praxisdrucker unkompliziert ausgedruckt  und in einigen Regionen direkt mit einem konkreten Kursangebot versehen werden. Auch wenn das Ausstellen des Rezeptes nicht vergütet wird, so liegt der Nutzen in einer qualifizierten Patientenberatung zu gesundheitsförderlichem Verhalten und damit in einer höheren Patientenbindung und langfristig auch in einem Rückgang erforderlicher Medikamentenverschreibungen. Damit besteht ein Nutzen für den Patienten, den Arzt, aber auch für das Gesundheitssystem im Ganzen.

Erbringen die Ärzte über die reine Empfehlung zur Bewegung hinaus weitere Beratung?

Das Rezept umfasst nicht nur eine allgemeine Bewegungsberatung, sondern empfiehlt auch Trainingsmaßnahmen für ein spezifisches Organsystem. Angebote mit dem SPORT PRO GESUNDHEIT -Siegel sind an bestimmten Organsystemen oder Zielsetzungen ausgerichtet (z. Bsp. Herz-Kreislauf oder Muskel-Skelett) und können direkt auf dem Rezept vermerkt werden. Zu diesen Bereichen liegen Angebotsverzeichnisse der Landessportbünde vor. Das Rezept kann seitens des Arztes zudem mit konkreten Hinweisen für den Leiter der Übungsgruppe zu Belastungen und Vorerfahrungen des Patienten versehen werden.

Wo gibt es das "Rezept für Bewegung" bereits und wie ist die weitere Planung? Wird es das Angebot bald bundesweit geben?

Das Rezept wird inzwischen in fast allen Bundesländern eingesetzt (Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, NRW, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Thüringen). In weiteren Ländern bestehen bereits Initiativen zur Einführung. Die Bundesärztekammer hat gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund und der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention ein standardisiertes Rezeptformular erstellt, das regional genutzt und eingesetzt werden kann und somit einen hohen Wiedererkennungswert besitzt.

 

Weitere Informationen zum Rezept für Bewegung erhalten Sie unter http://www.sportprogesundheit.de/de/sport-pro-gesundheit/rezept-fuer-bewegung/


  • Rudolf Henke; Foto: Bundesärztekammer
    Rudolf Henke; Foto: Bundesärztekammer