Interview mit Herbert Dierker zum Thema Sport und Gesundheit

"Sport und Gesundheit" zählt nach Einschätzung von Dr. Herbert Dierker zu den wichtigsten Zukunftsthemen der Sportministerkonferenz (SMK). Im Interview spricht er über die Erfolge der gleichnamigen Arbeitsgemeinschaft:

Dr. Herbert Dierker, Foto: Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin
Dr. Herbert Dierker, Foto: Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin

Dr. Herbert Dierker, Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin, ist seit 2008 Vorsitzender der „Arbeitsgruppe Sport und Gesundheit“, einer politikfeld-übergreifend zusammengesetzten Arbeitsgruppe, initiiert von der auf Länderebene aktiven Sportministerkonferenz. Zusätzlich ist er, bedingt durch sein Amt, Mitglied in der europäischen Kommission (der Expertengruppe Health Enhancing Physical Activity (HEPA) und vertritt  dort die Länderinteressen. Im Interview berichtet er über die Entwicklung und Erfolge der Arbeitsgemeinschaft in Bezug auf die Zusammenarbeit der politischen Felder „Sport“ und „Gesundheit“ und seine Sicht auf den Beitrag des DOSB.

Frage: Was genau ist die „AG Sport und Gesundheit“ und wie hat sich die Arbeit der AG seit ihrer Gründung im Jahr 2000 entwickelt?

Die „AG Sport und Gesundheit“ ist Anfang 2000 von der Sportministerkonferenz (SMK) als temporäre AG eingerichtet worden. Dieses Vorgehen hängt mit der Arbeitsweise der SMK zusammen. Neben zwei fest installierten Arbeitsgruppen, der "AG Leistungssport" und der "AG Sportstätten" gibt es temporäre Arbeitsgruppen wie z.B. Sport und Wirtschaft. Das Thema Sport und Gesundheit hat sich nach meiner Wahrnehmung allerdings zu einem Dauerthema entwickelt und ist eines der wichtigsten Zukunftsthemen.

Die „AG Sport und Gesundheit“ ist fachübergreifend zusammengesetzt, so dass unterschiedliche Player in diesem Bereich vertreten sind: von Fachexperten der SMK, über das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und deren Initiative IN FORM, über Vertreter der Gesundheitsministerkonferenz (GMK), dem Bundesministerium des Innern (BMI) bis hin zum DOSB.

Als einen der größten bisherigen Erfolge der AG kann die 2013 gemeinsam von den Vertretern der Länder Hessen, Mecklenburg Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Berlin veranstaltete Fachkonferenz „Sport und Gesundheit bewegen“ gesehen werden. Ein wichtiges Ziel der Veranstaltung war es, die Vertreter der Gesundheitspolitik explizit als Teilnehmer zu gewinnen. Wir haben auch internationale Experten z. B. aus Österreich als Referenten eingeladen, die in diesem Thema schon sehr weit sind. Besonders erfreulich war, dass auch der Vorsitzende der AOLG, der Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesgesundheitsbehörden, intensiv in die Veranstaltung eingebunden war.

Diese Tagung war ein Meilenstein in Bezug auf die Zusammenarbeit der Felder Sport und Gesundheit. Sie war auch der Ausgangspunkt für den nun auf den Weg gebrachten gemeinsamen Beschluss von GMK und SMK zur Unterstützung gesundheitsfördernder Aktivitäten.

Gemeinsamer Beschluss von Gesundheitsministerkonferenz (GMK) und Sportministerkonferenz (SMK) zur Unterstützung gesundheitsfördernder Aktivitäten. Der Beschluss umfasst insgesamt sieben Punkte, die auf gemeinsame Aktivitäten und Ziele der beiden Konferenzen ausgerichtet sind und steht aktuell unter der aufschiebenden Wirkung der Zustimmung der GMK, die im Juni 2015 das nächste Mal tagt. Der komplette Text steht <media 53982 _blank download "TEXT, 141107 38SMK SMK-GMK Unterstuetzung koerperlicher Aktivitaet 01, 141107_38SMK_SMK-GMK_Unterstuetzung_koerperlicher_Aktivitaet_01.pdf, 144 KB">Initiates file downloadhier zum Download</media> bereit. 

Wie ist das jetzt vorliegende Beschlusspapier entstanden?

Ausgangspunkt war die eben erwähnte Fachkonferenz „Sport und Gesundheit bewegen“. Entstanden ist der Beschluss dann in einem umfangreichen Abstimmungsverfahren entsprechend der typischen Arbeitsweise der einzelnen Konferenzen. Am Beginn stand dabei ein Vorentwurf der „AG Sport und Gesundheit“ Da in der AG neben den Vertretern der SMK auch die GMK, das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesministerium des Innern sowie mit dem DOSB der organisierte Sport vertreten war, konnte schon früh überprüft werden, ob der Vorschlag in die richtige Richtung geht.

Im nächsten Schritt haben dann die Vertreter für Sport und Gesundheit auf der Arbeitsebene ein Endpapier entwickelt und dieses in ihren jeweiligen Gremien abgestimmt. Das so entstandene Papier konnte danach der jeweiligen Ministerkonferenz vorgelegt werden. Die SMK hat bereits im November 2014 getagt und dem Beschluss zugestimmt. Die GMK wird mit sehr großer Wahrscheinlichkeit auf ihrer nächsten Tagung im Juni 2015 ebenfalls diesen Beschluss verabschieden.

Wie bewerten Sie die durch den auf den Weg gebrachten Beschluss begonnene Annäherung von SMK und GMK? 

Das sind natürlich sehr positive Signale, wobei wir uns zunächst nicht sicher waren, ob es uns gelingt, diese beiden Konferenzen, also die höchste politische Ebene auf Länderebene, für ein gemeinsames Votum zu gewinnen. Allerdings trifft die Formulierung "begonnene Annäherung" den Sachverhalt nicht ganz genau. Denn schon seit Anfang 2000 war das Thema in der Diskussion. Es war sowohl den Vertretern des Gesundheits-, wie auch des Sportbereichs deutlich, dass es auf beiden Seiten angegangen werden muss. Auch der Sport hat in dieser Zeit das Thema Gesundheit verstärkt in den Fokus genommen. Seitdem hat es immer wieder Arbeitszusammenhänge gegeben. 2008 haben wir dann intensiver zusammengearbeitet, so dass dieser nun auf den Weg gebrachte, gemeinsame Beschluss zwischen SMK und GMK als ein großer Erfolg der Zusammenarbeit gesehen werden kann.

Was sind die nach Ihrer Ansicht vordringlichen Themen, die nur im Zusammenspiel von GMK und SMK umgesetzt werden können?

Im Prinzip stehen im vorliegenden Beschlusspapier ausschließlich Themen, auf die dies zutrifft. Auch wenn naturgegeben solche Beschlüsse einen gewissen Grad der Allgemeinheit haben müssen, sind im vorliegenden Papier einige, sehr konkrete Punkte für die Umsetzung etwa unter Punkt 5 benannt: beide Konferenzen haben sich verpflichtet, gemeinsam nationale Bewegungsempfehlungen zu prüfen. Hier hilft uns ein weiterer wichtiger Player, das Bundesministerium für Gesundheit, sehr. Dort wurde zum 1.1.2015 ein Arbeitsauftrag ausgelöst, der das Projekt „Bewegungsempfehlungen“ unter Leitung von Prof. Rütten (Friedrich Alexander Universität Erlangen) und zahlreichen Experten wissenschaftlich begleitet.

Die Themen Bewegung, Sport und Gesundheit sind Querschnittsaufgaben, die in fast allen Politikbereichen bewegt werden müssen. Deshalb können Erfolge nur gemeinsam erzielt werden. Beispielsweise ist die Gestaltung von bewegungsfreundlichen städtischen Räumen ein wichtiges, sportpolitisches Ziel. Dafür ist die Zusammenarbeit aller beteiligten Akteure auf den unterschiedlichen Ebenen allein erfolgsversprechend: u.a. DOSB, die Landessportbünde, die Ministerien für Stadtentwicklung und Bauen, die kommunalen Spitzenverbände und Kommunen.

Das Thema Ernährung ist ein weiterer zentraler Aspekt des Themas Bewegung. Sport und Gesundheit.  In „AG Sport und Gesundheit“ wird dieser Aspekt auch durch die Initiative IN FORM vertreten.

Es gibt in der aktuellen Situation zum Thema Bewegung, Sport, Ernährung und Gesundheit kein Informationsdefizit: Es ist eigentlich allen klar,  wie wichtig Sport und Bewegung und Ernährung für das menschliche Wohlbefinden sind. Wir stellen eher ein Umsetzungsdefizit fest. Es gibt aber bereits zahlreiche interessante Ansätze: in Nordrhein-Westfalen gibt es z.B. eine vom LSB NRW initiierte Kampagne, die das für mich sehr gut auf den Punkt bringt: „den inneren Schweinehund überwinden“. Ich glaube, dass wir die Menschen nicht über rationale Argumente erreichen, sondern wir müssen sie vor allem über die Emotionalität und die Psyche gewinnen sowie die Bedingungen verbessern, die ein lebenslanges, gesundheitsförderliches Verhalten ermöglichen.

Nach meiner Überzeugung ist das Zusammenspiel von Sport, Bewegung, Gesundheit und Ernährung einer der Schlüsselbereiche für eine zukunftsfähige Gesellschaft. Schon allein deshalb, weil wir enorme Kosten im Gesundheitswesen einsparen, wenn wir dort konkrete Verbesserungen erzielen.

Wie sehen Sie die Entwicklung der Zusammenarbeit der Felder „Sport“ und „Gesundheit“ auf Bundesebene?

In den zurückliegenden Jahren hat sich eine intensivierte Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern z. B unter dem Dach von „IN FORM“ entwickelt. Hilfreich ist dabei auch die fachübergreifende Zusammensetzung der „AG Sport und Gesundheit“ und die jetzt konkret auf den Weg gebrachte Zusammenarbeit zwischen SMK und GMK.

Wenn ich es richtig sehe, ist das Thema Sport und Gesundheit  auch erstmals ausdrücklich im Regierungsprogramm der Bundesregierung zu finden, was ebenfalls ein Hinweis auf die gestiegene Bedeutung von Bewegung, Sport und Gesundheit im politischen Spektrum auf Bundesebene ist.

Inwieweit kann hier das gerade im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren befindliche Präventionsgesetz einen Beitrag leisten, die Felder „Sport“ und „Gesundheit“ näher zusammenzubringen?

Bei der Debatte zum gescheiterten Präventionsgesetz in der zurückliegenden Legislaturperiode war es für den Sport ganz schwierig, überhaupt den Hut in den Ring zu werfen. Das ist bei der aktuell vorliegenden Fassung glücklicherweise anders. Ob und wie der Sport im Präventionsgesetzt berücksichtigt werden wird, ist noch in der Diskussion. Es ist nach meiner Ansicht aber nicht mehr in Frage gestellt, dass Sport und Bewegung im Präventionsgesetz eingebunden werden.

An dieser Stelle muss man gerade dem DOSB ein großes Kompliment machen, der dieses Thema im Vorfeld der jüngsten Bundestagswahlen intensiv in die gesundheitspolitische Debatte, z. B. in einer Anhörung im Rahmen des „1. Gesundheits- und präventionspolitischen Abends“ mit allen gesundheitspolitischen Sprechern, gebracht hat. Hier wurde besonders deutlich, dass gerade im Bereich der klassischen Gesundheitspolitik noch ein großer Informationsbedarf bestand. Ein konkreter und wichtiger Erfolg dieser Aktivitäten war, dass der DOSB bei der Neuauflage des Gesetzes von Beginn an zu den anzuhörenden Organisationen gehörte und sein Wissen in den Beratungsprozess für den Gesetzesentwurf einbringen konnte.

Welche Rolle spielt für Sie hierbei der organisierte Sport mit seinen umfangreichen und zertifizierten Gesundheits- und Präventionsangeboten?

Der DOSB ist in der „AG Sport und Gesundheit“ als sehr wichtiger Akteur vertreten. Von Beginn an hat sich der organisierte Sport sehr aktiv eingebracht. Deshalb findet er sich auch zu Recht mit seinen verschiedensten Angeboten im Beschlusspaper von SMK und GMK wieder. Der DOSB ist mit seinen qualitätsgesicherten Angeboten, wie den mit dem Siegel SPORT PRO GESUNDHEIT ausgezeichneten Kursen, ein Schwergewicht im Gesundheitssektor.

Gestatten Sie einen mir persönlich besonders wichtigen, aber in der bisherigen Diskussion vernachlässigten und auf den ersten Blick vielleicht ungewöhnlichen Gedankengang an den Schluss des Interviews zu stellen.

Auf der Ebene der qualitätsgesicherten Angebote von Prävention und Rehabilitation teilt sich der DOSB mit seinen Verbänden und Vereinen den Markt mit anderen Anbietern. Das wettkampfgebundene Sportsystem aller Sportarten ist dagegen ein bundesweites, flächendeckendes, differenziertes Bewegungsangebot insbesondere für Kinder und Jugendliche. Kinder und Jugendliche können dabei auf spielerische Weise langfristig Freude an der Bewegung gewinnen. In ihrem Sportverein bewegen sie sich in der Regel zweimal in der Woche unter fachlicher Anleitung - an zahlreichen Wochenenden sind sie in der Halle und auf den Sportplätzen im Wettspielbetrieb mit großer Freude und Begeisterung unterwegs. Dabei spielen, genau wie im Bereich des Gesundheitssports, selbstverständlich auch weitergehende soziale Aspekte des Vereinslebens eine wichtige Rolle. Natürlich dürfen dabei auch die negativen Seiten, wie etwa das erhöhte Verletzungsrisiko im Leistungssport, nicht aus dem Blick geraten.

Dennoch: dieses ehrenamtlich basierte Qualitätsangebot, Kinder und Jugendliche an Bewegung und Sport heranzuführen, kann nur der DOSB mit seinen Verbänden und Vereinen anbieten. Über die sehr wichtigen Aktivitäten und konkreten Angebote im Bereich Prävention und Rehabilitation hinaus, halte ich dies für eine der größten Leistungen des organisierten Sports für die Gesundheit unserer Gesellschaft.

(Quelle: wirkhaus / Stand 16.02.2015)


  • Dr. Herbert Dierker, Foto: Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin
    Dr. Herbert Dierker, Foto: Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin